Hilfe bei postpartaler Depression: Je früher, desto besser

Die postpartale Depression ist eine depressive Erkrankung, die im Zeitraum nach der Geburt bis ein Jahr danach auftritt. Ungefähr jede 10. Frau ist davon betroffen. Es handelt sich um eine Depression wie jede andere auch, einzig der Auslöser ist spezifisch, und das Erscheinungsbild zeigt einige Besonderheiten. Typisch sind neben den bekannten depressiven Symptomen Ängste um den Verlust der Betreuungskompetenz für das Kind, Zwangsgedanken, körperliche Erschöpfung und starke Schwankungen im Wochenverlauf. Sehr gute bis fast normale Tagesformen wechseln sich ab mit Tagen, an denen die Frauen aufgrund von Erschöpfung und Insuffizienzgefühlen die Betreuungsverantwortung für das Kind nicht alleine übernehmen können.

Wichtigster Trigger in diesem Zusammenhang ist der Schlafentzug, der im Wochenbett nicht zu verhindern ist, jedoch sehr unterschiedlich toleriert wird.

Frauen finden nicht selten erst nach langen Odysseen fachspezifische Hilfe

Am häufigsten erkranken Mütter innerhalb der ersten drei Monate nach der Geburt mit einem Gipfel in der vierten postpartalen Woche. Deshalb ist es notwendig, die Frauen nach einer ersten Beurteilung auf der Wochenbettstation des Spitals beim Verdacht auf eine postpartale Depression wenige Wochen nach der Entbindung nochmals ambulant aufzubieten. So können die Symptome eines Baby Blues, der je nach Studie bis zu 80% der Frauen betrifft, von einer postpartalen Depression unterschieden werden. Auch Kinder- und Frauenärzte sehen die Frauen innerhalb des genannten Zeitfensters, währenddem die Erkrankungshäufigkeit am höchsten ist. Auch sie sind gefordert, ihre Aufmerksamkeit während dieser Zeit auf eine mögliche Erkrankung zu lenken. Viele Frauen erkranken aber auch erst einige Monate nach der Geburt.

Postpartale Depression: Ungefähr jede 10. Frau ist davon betroffen.

Seit wenigen Jahren hat das Thema eine teilweise Enttabuisierung erfahren. Betroffene melden sich zu Wort, und Fachleute sind vermehrt sensibilisiert auf die Erkrankung. Nichtsdestotrotz finden Frauen nicht selten erst nach langen Odysseen fachspezifische Hilfe. Die in der gesellschaftlichen Bewertung vorherrschende Idealisierung der Mutterschaft, verbunden mit hohen Glückserwartungen der Betroffenen an diese Lebensphase, erschwert das Erkennen der typischen Krankheitssymptome. Hier gilt: Im Zweifelsfall zu früh fachspezifische Hilfe in Anspruch nehmen ist besser, als die Diagnose einer depressiven Erkrankung nach der Geburt zu verpassen. Denn je früher eine Behandlung beginnt, desto kleiner ist die Chronifizierungsgefahr, und je geringer hält sich der Schaden für die Betroffene, ihr Kind und das Umfeld.

 

«Man darf nicht das Gefühl haben, man müsse alles alleine schaffen!»

Interview: Michèle Abelovsky/Susanne Gimmi

Frau M. erkrankte nach der Geburt ihres ersten Kindes an einer Depression. Sie fand Hilfe im stationären Rahmen auf der Mutter-Kind-Abteilung im Bezirksspital Affoltern und nahm später an der Müttergruppe teil. Die Müttergruppe ist ein Gruppenangebot der Psychiatrischen Poliklinik. Es handelt sich um einen 12-teiligen Therapiekurs, der betroffenen Müttern konkrete Hilfe im Umgang mit ihrer Erkrankung bietet.
Frau M. berichtet in einem Interview über ihre Erfahrungen.

Wie ist Ihnen damals aufgefallen, dass mit Ihrer Gesundheit etwas nicht stimmt?

Es ist schleichend gekommen. Zuerst dachte ich, na ja, ich bin einfach noch müde von der Geburt. Ich habe mich zurückgenommen, denn das Kind brauchte viel Aufmerksamkeit. Es war ein Schreikind. Ich schlief kaum noch, ass unregelmässig, und was ich vorher nicht von mir kannte: Plötzlich hatte ich Angst davor, aus dem Haus zu gehen, alleine zu sein und sogar vor der Dunkelheit fürchtete ich mich. Bis heute lasse ich ein Licht brennen in der Nacht.

Wann wurde Ihnen schliesslich klar, dass Sie Hilfe brauchen?

Hebamme und Mütterberaterin versuchten zwar zu helfen, konzentrierten sich aber vorwiegend auf das Baby. Wie es um mich stand, wurde nicht so richtig wahrgenommen. Eskaliert ist es, als ich einmal körperlich auf meinen Mann losging, einen halben Nervenzusammenbruch hatte und bloss noch heulte. Er hat dann die Hebamme gerufen. Durch sie trat ich wieder ins Kantonsspital ein. Nun war mir klar, dass ich Unterstützung brauchte.

Wieder zu Hause, erhielt ich Hilfe von einer Frau. Anstatt ihr aber Kind und Haushalt zu überlassen, wie es mir angeboten wurde, wollte ich nicht alles abgeben. Schliesslich musste ich doch wenigstens noch etwas alleine auf die Reihe kriegen. Eine Freundin erzählte mir dann von der Mutter-Kind-Station im Bezirksspital Affoltern, welche ich schliesslich in Anspruch nahm.

Können Sie etwas zum Aufenthalt auf der Mutter-Kind-Station sagen?

Alles in allem war ich einen Monat dort. Es war gut zu sehen, dass auch noch andere Frauen Probleme haben. Ich war nicht alleine, es wurde zu mir und der Kleinen geschaut. Schliesslich wurde mir auch bestätigt, dass es wirklich schwierig war mit meiner Tochter – auch dort musste sie stundenlang beruhigt werden. Man erhielt viele Tipps und praktische Aufgaben, zum Beispiel, mit dem Kind das Frühstück im Dorf zu organisieren. Vorher hatte ich ständig Angst, sie würde wieder zu schreien beginnen und ging daher erst gar nicht weg mit ihr. Ich musste quasi den Alltag üben. Hier erhielt ich wieder mehr Selbstvertrauen und die Bestätigung, dass ich es schon richtig

Kommen wir zur Müttergruppe, die Sie besucht haben. Wie war Ihr Eindruck dort?

Auch hier war wieder gut, sich austauschen zu können und zu wissen, dass ich nicht alleine war mit meinem Problem der Überforderung. Die Gesprächsthemen waren gut gewählt. Viele Dinge wurden endlich mal auf den Punkt gebracht: Erschöpfung, Angst, Schlaflosigkeit – das alles gehörte zusammen. Was ist eigentlich eine Depression? Was sind die Symptome? Was kann dazu führen? Darüber wurde zuvor nie gesprochen. Eigentlich wusste ich bis anhin nie richtig, was mit mir los ist. Es war gut, das Kind mal beim Namen zu nennen.

Wenn Sie zurückschauen: Wie geht es Ihnen heute?

Es geht mir sehr viel besser. Es gibt noch Schwankungen, und ich habe hin und wieder mal ein Tief. Auch besuche ich noch eine Einzeltherapie – eine Ankerstelle, die ich doch noch brauche.

Was raten Sie Frauen, die nach einer Schwangerschaft depressive Gefühle haben?

Das Wichtigste, was ich gelernt habe, ist, dass man Hilfe holen und solche auch annehmen soll, wenn sie einem angeboten wird. Man darf auf keinen Fall das Gefühl haben, man müsse alles alleine schaffen! Das ist zum Teil wirklich noch ein Tabu. Man muss den Mut haben, über die eigene Situation zu sprechen.

Synapse, Integrierte Psychiatrie Winterthur
M.B. Abelovsky