Postnatale Depression

Michèle B. Abelovsky ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie FMH. Bei der Integrierten Psychiatrie Winterthur hat sie eine Spezialsprechstunde für Frauenspezifische psychische Erkrankungen mit Schwerpunkt Postnatale Depression aufgebaut. Danebst arbeitet sie in eigener Praxis in Zürich.

Astera: Frau Abelovsky, welche Beschwerden deuten auf eine Postnatale Depression hin?

Michèle B. Abelovsky: Die Postnatale oder Postpartale Depression ist von den Erscheinungsformen her eine Depression wie jede andere auch mit einigen Besonderheiten, und einem speziellen Auslöser. Nach der Geburt kommt es im Körper der Mutter zu einer erheblichen hormonellen Umstellung. Es ist oft schwierig zu unterscheiden welche Veränderungen durch die neue Situation bedingt sind, und welche einen Krankheitswert haben.

Häufig ist der mit der Mutterschaft einher gehende Schlafentzug Auslöser für Folgeerscheinungen wie Bedrückung oder dem Gefühl, der Aufgabe als Mutter nicht gewachsen zu sein. Es kann auch zu Gereiztheit, Nervosität und innerer Unruhe kommen. Weiter kann sich eine Frau ständig müde fühlen; bereits beim Aufstehen befürchtet sie, den Tag kaum zu schaffen.

Wenn die Depression sich weiter verschlimmert, zieht sie sich zurück und mag kaum mehr etwas mit anderen Leuten zu tun haben. Typisch für eine Postnatale Depression ist ein sehr schwankender Verlauf. An manchen Tagen glauben die betroffenen Frauen, es gehe nun aufwärts, wenig später kommt es dann wieder zu Rückschlägen, in denen sie sich tagelang schlecht fühlen.

Welche weiteren Hintergründe können eine Postnatale oder Postpartale Depression begünstigen?

Wichtige Risikofaktoren sind eine durchgemachte Depression in der Vorgeschichte sowie eine Neigung zu dieser Krankheit innerhalb der Familie. Zu weiteren Risikofaktoren gehören auch psychosoziale Belastungen wie finanzielle Unsicherheit, Arbeitslosigkeit des Partners oder ein wenig unterstützungsfähiger Partner, ungünstige Wohnverhältnisse, ein krankes Kind oder andere kranke Familienangehörige.
Weiter kann auch eine Empfindlichkeit auf hormonelle Schwankungen ein Risiko sein.

Während der Schwangerschaft steigt der Östrogenspiegel um das 800-fache im Vergleich zu vor der Schwangerschaft. Nach der Geburt sinkt er massiv ab. Bei 60 bis 80 Prozent der Mütter kommt es dadurch während einigen Tagen zu Weinerlichkeit, Verletzlichkeit und/oder Empfindlichkeit auf Lärm und auf Licht, dem sogenannten „Baby-Blues“. Wenn sich eine Depression entwickelt, verschwinden diese Beschwerden nach einigen Tagen nicht von selber, sie verschlimmern sich sogar noch.

Wie viele Frauen erkranken nach der Geburt an einer Depression?

Im mitteleuropäischen Raum geht man davon aus, dass jede 10. bis 15. Frau betroffen ist.

Wie kann die Störung behandelt werden?

Die Postnatale Depression kann grundsätzlich gleich behandelt werden wie jede andere Depression auch. In erster Linie behandelt man psychotherapeutisch, informiert über die Erkrankung und bezieht die Angehörigen in den Behandlungprozess mit ein. Konkrete Entlastungsmassnahmen wie eine regelmässige Fremdbetreuung des älteren Kindes oder auch eine regelmässige Putzhilfe können hilfreich sein.

In jedem Einzelfall muss abgeklärt werden, ob zusätzlich eine medikamentöse Behandlung erforderlich ist. Bei sehr schweren Erkrankungen ist eine Einweisung in eine spezialisierte Mutter-Kind-Station erforderlich.

Manche werdenden Mütter leiden bereits während der Schwangerschaft an einer Depression, wie kommt es dazu?

Ungefähr jede 10. bis 15. Frau entwickelt bereits während der Schwangerschaft eine behandlungsbedürftige Depression. Die Auseinandersetzung mit der neuen Rolle als Mutter kann Ängste und Verunsicherung auslösen. Wenn noch weitere Belastungsfaktoren hinzu kommen, kann dies die Entstehung depressiver Symptome begünstigen.

Astera / M.B. Abelovsky